Montag, 6. Mai 2013

Die Kirche: Zerrissen zwischen rechts und links?


Wenn man eine Meinungsumfrage machen würde, wie die Menschen die Kirche sehen, würden sicher folgende Schlagworte fallen:
Konservativ, veraltet, nicht mehr zeitgemäß, leib- und lustfeindlich, starr, patriarchal.
Auch kirchenintern werden Forderungen nach Veränderungen laut. Die einzelnen Gruppierungen innerhalb der Kirche driften immer weiter auseinander.
Die Kirche liegt in einem enormen Spannungsverhältnis zwischen links und rechts - zwischen progressiven und konservativen Kräften.
Quo vadis Kirche?
 
Wie war Jesus?
War er ein Linker - ein Revolutionär? Ja, er brach mit gewissen starr gewordenen Strukturen und setzte sich tatsächlich über manche Regeln hinweg. Seine Beziehung zum Gesetz war geprägt von der Einstellung: Das Gesetz ist für die Menschen da, nicht der Mensch für das Gesetz. Es ist also gut, dass es das Gesetz (Gottes) gibt. Das Gesetz und die Moral dienen den Menschen (eine Tatsache, die in der modernen Gesellschaft nur all zu gerne vergessen wird). Doch das menschliche Fehlen, die Gesetze einzuhalten, bedarf in erster Linie keine Ahndung der Verfehlungen, sondern vor allem Barmherzigkeit und Liebe.
 
War Jesus ein Rechter - ein Konservativer? Ja, sein Erlösungswerk (also sein Tod am Kreuz) konnte er nur vollbringen, weil er nicht gegen Gott rebellierte, sondern weil er gehorsam war. Auch bei Jesus sind sehr viele mahnende Worte zu finden. Die Gesetze, die die damalige Gesellschaft schon verbogen hatte, um sie angenehmer zu gestalten, hat er wieder aufgestellt und verschärft (siehe Ehebruch). Jesus selbst nahm die Gesetze ernst. Er relativierte sie nicht.
Doch geht es ihm nie um die bloße Einhaltung der Gesetze, sondern um die Hingabe des Menschen an Gott.
 
Die eine Kirchenhälfte zieht zur Weltabkehr. Zur „wahren“ Anbetung Gottes. Zur vordergründigen Abkehr von Sünde und sie vergisst dabei allzu oft, dass wohl genau darin ihre mögliche Hauptsünde liegt. Nicht die Unreinheit ist ansteckend (sie ist schon in uns), sondern die Heiligkeit sollte ansteckend sein. Man vergisst in der Abwehr des Frevels und der Sünde auf die Barmherzigkeit. „Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer.“ Vor lauter Rechtschaffenheit und Rechtsgläubigkeit vergisst man, dass auch Jesus mit Sündern Mahl gehalten hatte, ohne dabei Vorbedingungen zu stellen. Die Ehrfurcht vor Gott drückt sich in erster Linie nicht durch die Menge an verwendetem Weihrauch, vorkonziliärer Liturgiepraktiken oder die Zahl der geleisteten Kniebeugen aus, sondern vor allem in der Liebe zu Gott und den Sündern.
Die andere Kirchenhälfte verwechselt Jesus mit Karl Marx. Alle Kirchenstrukturen und Kirchengesetze sind in ihren Augen schlecht. Die Kirche müsse mit der Zeit gehen. Sie müsse ihren eigenen Gesetze missachten und sich der Welt angleichen, damit sie von der Welt verstanden würde. Doch was soll die Welt an der Kirche erkennen, wenn sich die Kirche von der Welt gar nicht unterscheidet?  Worin liegt das Heil, das uns Jesus durch die Vergebung unserer Sünden geschenkt hat, wenn wir unsere Sünden als Zeitgeist negieren? Jesus hat eigentlich die Menschen nie gleich behandelt, sondern ihnen immer individuell das Heil und die Vergebung nahegebracht. Er hat die Strenge seines Glaubens und der Gesetze nie aufgeweicht, doch er hat den Menschen immer dort abgeholt, wo dieser gerade stand - in der Sünde. Was hat die Kirche davon, wenn sie modern und zeitgemäß ist, aber ihre eigenen Werte verraten hat? Was hat sie davon, wenn sie Applaus von Atheisten bekommt, dafür aber ihr Fundament verraten hat?
 
Klaus Berger schreibt in seinem Buch „Die Bibelfälscher“ Folgendes:
"Wer die geschlossene Ideologie des Fortschritts ablehnt, erscheint dagegen als erzkonservativ, als reaktionär, als 'rechts'. Dabei hat die Frage, auf welcher Seite denn die Erkenntnisdefizite vorliegen, mit Konservativsmus oder der politischen Rechts/Links-Frage überhaupt nichts zu tun. Vielmehr geht es doch in jedem Falle um Kritik. Das Attribut 'konservativ' wird indes seit Jahren dazu missbraucht, missliebige Störenfriede zu stigmatisieren."
 
Schnell wird man auch innerhalb der Kirche als konservativ abgestempelt, wenn man dem Zeitgeist Widerstand entgegensetzt. Wenn man Bedenken hat, dass diese oder jene liberale Gesinnung eine Fehlentwicklung sein könnte oder gar, wenn man die Existenz von Hölle und Teufel für real hält.
 
Die Kirche ist eine alte Dame. Ich kenne keine andere Institution, die dieses beachtliche Alter hat, und die noch immer so quietschlebendig ist (die Kirche ist sehr lebendig, nur in Europa nicht, weil sich die Menschen von ihr abgewendet haben, nicht weil sie zu unmodern wäre).
Die Kirche gleicht einem sehr wertvollen Gemälde, welches das Angesicht Gottes wiederspiegelt. Immer wieder wollten Menschen dieses Gemälde passend einrahmen und verzieren, um ihre Wertschätzung gegenüber Gott zu bekunden. So wurde der Rahmen des Gemäldes immer dicker und barocker. Der Rahmen ist nicht schlecht. Im richtigen Ausmaß bringt der Rahmen das Gemälde sehr schön zur Geltung. Es hilft dann, die Gegenwart Gottes erfahrbar zu machen. Doch durch das Alter der Kirche ist der Rahmen schon sehr üppig geworden und es scheint, als wolle man mit dem Rahmen dem Bild Konkurrenz machen.
Man erkennt das Gemälde des Antlitzes Gottes vor lauter Weihrauch und Gebetsformeln nicht mehr. Die Menschen verstehen nicht mehr, was in einer Heiligen Messe eigentlich passiert. Es wirkt nicht mehr anziehend für sie. Die Lieder, die oft in Kirchen gesungen werden, haben mit der Lebenswelt der Menschen nichts mehr gemeinsam. Die Sprache ist eine andere geworden. Die Liturgie wirkt für viele Menschen fern und wie ein mystisches Hokus-Pokus ohne Bezug zu ihrem Leben. Sie übersehen die Fülle und das Potential dieses Augenblickes (z.B. den der Wandlung in der Heiligen Messe).
Die Kirche wird einen Weg finden müssen, den überflüssigen Ballast des Rahmens, der einfach schon „zu viel des Guten“ ist, wieder zu entfernen, ohne dabei gleich das Gemälde selbst zu entsorgen.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen