Zugegeben, das ist eine sehr provokante Frage und so mancher Christ wird sich bei diesem Vergleich erst einmal auf den „Schlips getreten“ fühlen, wenn sein Erlöser mit einem Lokalpolitiker zweifelhaften Rufs verglichen wird. Doch tatsächlich haben diese beiden Figuren in all ihrer Unterschiedlichkeit auch bemerkenswerte Gemeinsamkeiten.
Beide waren nämlich Messias (= Erlöser) Gestalten. Auf beiden lastete ein vergleichbarer Druck, das bestehende System zu stürzen und ein neues - gerechtes - System zu installieren. Wie man in den Evangelien nachlesen kann, war die Erwartungshaltung der Jünger durchaus ähnlich wie die des Freundeskreises des Jörg Haider (Stichwort: „Buberlpartie“). So wie es für Haider damals so manche „Kofferträger“ gab, die sich durch ihre Treue und ihre Loyalität bis zur Unterwürfigkeit eine gute Position erhofften - was schließlich dazu führte, dass dieses „System-Haider“ letztendlich genauso korrupt und dilettantisch wurde, wie das der etablierten Parteien, so gab es ähnliches Verhalten auch bei den Jüngern Jesu. In Mt. 20,21 und Mk. 10,37 streiten sich die Jünger tatsächlich, wer die besten Posten im Neuen Reich, das Jesus errichten wird, bekommen soll. Doch was die Jünger damals (noch) nicht verstanden, ist, dass Jesus kein Politiker sein wollte. Es ging ihm nicht um einen Umsturz des Systems, sondern um einen Umsturz der Herzen. Er wusste, dass er immer nur von einer Minderheit verstanden werden würde. Es ging ihm daher nie um eine quantitativ hohe Anhängerzahl, sondern immer um die Qualität der Bekehrung des Einzelnen. Das haben die Menschen - und auch seine Anhänger - bis zu seinem Tod nicht verstanden. (Erst nach dem Pfingsterlebnis wurde „sein Reich“ verstanden.) Jesus wusste also, dass jedes menschliche System korrumpierbar ist, weil der menschliche Geist unrein ist. Daher ist kein menschliches Reich von Dauer. Je höher die Erwartungshaltung eines neuen, gerechten Menschenreiches, desto größer ist die Anfälligkeit für neue, noch gewaltigere Ungerechtigkeiten.
Egal ob Kommunismus oder Faschismus, jedes von Menschenhand gemachte System, das von einem Messias begründet wurde, der sich anschickte „aufzuräumen“ und das in der Erwartungshaltung entstand, das jetzt Schluss mit Ungerechtigkeit, Korruption und Unterdrückung wäre, wurde zum unheilvollen Desaster für die Menschen.
Auch das System Haider in Kärnten hat diese These einmal mehr unter Beweis gestellt. Wenn es also ein politisches Reich gibt, das wirklich sauber sein soll, dann ist es eines, welches nicht von einem System abhängig ist und nicht von menschlichen Beziehungen, sondern von einer Zugehörigkeit herrührt, die über das menschliche Denken hinausgeht. Einen Reich, das nicht von Menschenhand gebaut ist und daher auch nicht von ihr zerstört werden kann.
Die „Vatileaks-Affäre“ zeigt uns, dass auch die Institution der Kirche sich nicht vor diesen menschlichen Fallen ausnehmen kann. Auch hier geht es schon lange nicht mehr um „sein Reich“, sondern um „menschliche Macht“. Auch wenn man ehrlicherweise sagen muss, dass die Affären des Vatikan heutzutage kein Vergleich zu jenem korrumpierten Machtapparat sind, den der Vatikan in Teilen der Renaissance und des Mittelalters bildete. Vermutlich wusste Jesus, wie fragil sein Reich sein würde, und wie leicht es wieder zerstörbar ist, doch hat er das ultimative Heilmittel gegen diese Zerstörung mitgegeben - die Vergebung. Dagegen ist die Vernichtung machtlos. Eine Kategorie, die es in der Politik nicht gibt.
Aber zurück zum Haider-Jesus Vergleich.
Eine zweite bizarre Gemeinsamkeit ist mir aufgefallen.
Haider übernahm die FPÖ im Jahre 1986 und führte sie bis zum Jahr 1999 von einem Stimmenanteil von ungefähr 9% zu ca. 27%. Das ist - so sagen uns Experten und Analysten - ein raketenhafter Aufstieg. Er brauchte dafür 13 Jahre bis zur Regierungsbeteiligung.
Das war aber nichts im Vergleich zu Jesus.
Dieser kam aus der Pheripherie über die man „witzelte“, dass von dort kaum „etwas Gutes“ kommen könne. In einer Zeitspanne von nur zwei Jahren wurde er ohne Hilfe der Mächtigen und Medien (die es ja nicht gab) so landesbekannt und beliebt, dass die jüdische Elite panische Angst um ihren Machteinfluss bekam und beschloss, ihn als Ketzer und Häretiker zu beseitigen. Und das, obwohl Jesus ja nicht der einzige Wanderprediger bzw. Wunderheiler war. Er hatte genug „Konkurrenz“, doch die Vollmacht, die er besaß, musste ihn konkurrenzlos erscheinen lassen.
Wenn man also als begnadeter Redner, wie Jörg Haider es war, 13 Jahre braucht, um einen merklichen Teil der Stimmen hinter sich zu vereinen, dann sollte sich auch der moderne Skeptiker fragen, welche Mitteln Jesus zur Verfügung hatte, um diese drastische Wirkung zu erzielen. Jeder Versuch, das Ereignis Jesus ins Reich des Mythischen einzuordnen, wurde bisher durch die Archäologie widerlegt. Kann man (ohne moderne Massenmedien) alleine durch Reden, Ansprachen und Missionierung von ein paar Verlierern den Mächtigen in so kurzer Zeit gefährlich werden? Warum wurde Jesus gekreuzigt, aber andere Prediger nicht?
Das Geheimnis ist, dass es nicht die Reden waren, welche den Bekanntheitsgrad Jesu so explosionsartig steigerte. Er wurde ja nicht einmal von seinen Jüngern richtig verstanden. Also waren seine Worte für viele Menschen unverständlich. Sie warfen wohl eher Fragen auf - sie wühlten auf - forderten heraus, aber blieben den Menschen ein Geheimnis. Seine explodierenden Bekanntheitswerte erhielt er kaum nur für seine Worte, sondern vor allem durch seine Taten, die den Menschen damals genauso unglaublich erschienen, wie uns heute. Jesus hatte die Vollmacht, Wunder zu tun. Nimmt man diese Wunder Jesu aus den Evangelien nämlich weg, dann verlieren seine Ansprachen großteils ihre Bedeutung.
Die politischen Messiasse sind mächtig in Wort(en), doch Jesus war mächtig in Wort und Tat (Mk 2,1-11). Doch als es darum ging, die Konsequenzen zu ziehen, reagierte er anders, als ein Politiker es tut. Er hielt seinen eigenen Kopf hin, anstatt die anderen vor zu schicken.
Das Problem von Machtmissbrauch, Korruption, Unterdrückung und Ungerechtigkeit liegt nicht im politischen System, sondern im Herzen der Menschen.